Immer mehr Stadthäger auf die Tafel angewiesen
Derzeit nehmen 1354 Menschen das Angebot in Anspruch – Zuwachs nicht nurdurch Asylsuchende

Aus: Schaumburger Nachrichten Online vom 17 September 2016
Von jennifer minke-beil
STADTHAGEN. An die erste Fahrt zur Tafel kann sich Simone Fricke noch gut erinnern – es ist keine angenehme Erinnerung: „Ich habe mich ziemlich geschämt“, sagt die Stadthägerin. „Soweit ist es jetzt also mit mir gekommen“, sei es ihr durch den Kopf geschossen. Mittlerweile fühle sie sich in der Gemeinschaft der Tafel in Stadthagen aber wohl und hilft sogar in dem ebenfalls an der Gubener Straße angesiedelten DRK-Kleider-Shop als Arbeitskraft aus. Die 54-Jährige gehört zu den derzeit1354 Menschen, die Hilfe von der Tafel in Stadthagen benötigen. „Die Zahl ist vor allem im vergangenen Jahr deutlich angestiegen“, sagt Koordinatorin Michaela Hinse.
Ende 2015 waren es noch 1096 Menschen, die sich Lebensmittel an der Gubener Straße geholt haben.„Im Moment haben wir jede Woche vier bis zehn Neuaufnahmen in Stadthagen. Das ist schon eine Menge“, so Hinse. Am Tag versorge die Tafel bis zu 160 Menschen. Jeder Kunde darf hier zwei Mal inder Woche einkaufen. Signifikant ist auch der Anstieg der Kundenzahlen seit 2011. Vor fünf Jahren zählte die Tafel, die Montag bis Freitag von 11 bis 13 Uhr geöffnet hat, noch 879 Kunden.
Die steigende Zahl erklärt Hinse nicht ausschließlich mit den Flüchtlingen, die in den vergangenen Monaten in den Landkreis gekommen sind. Sie hätten natürlich ebenso den Anspruch auf Unterstützung wie etwa Hartz-IV-Empfänger. Ein immer größeres Problem sei aber auch die Altersarmut. Rentner oder Verwitwete kämpften mit Geldproblemen und seien auf Hilfe angewiesen. Hinse ist froh, dass die Tafel trotz der gestiegenen Zahlen noch keine Probleme mit der Versorgung hat.
„Wir kooperieren eigentlich mit fast allen Supermärkten.“ Natürlich komme es vor, dass die Produkte an manchen Tagen ungleich verteilt seien. Da gebe es tonnenweise Tomaten oder Lauchzwiebeln, dafürfehlten Brot oder einige Obstsorten. Aber im Großen und Ganzen sei der Bedarf gut abgedeckt. Längerhaltbare Lebensmittel seien traditionell Mangelware bei der Tafel. „Da wissen die Supermarkt-Betreiber natürlich, dass sie die Sachen noch ziemlich sicher loswerden.“
Einen weiteren Grund für die gestiegenen Kundenzahlen sieht Hinse im Tafel-Standort an der Gubener Straße „Er ist zentral, aber trotzdem etwas versteckt.“ Somit sei eine gewisse Anonymität möglich. Außerdem verringere der DRK-Kleider-Shop die Hemmschwelle. „Da kommen einige Kunden täglichhin, um sich auszutauschen. Es ist ihre einzige Möglichkeit zur Kommunikation.“ Das Vertrauenwachse, und es sei schön, zu sehen, wie sich die Menschen gegenseitig helfen. Es werde sogar Geldverliehen – und davon habe schließlich jeder Kunde zu wenig.
95 Prozent der Mitarbeiter
aus Fördermaßnahmen
Die Kunden kämen aus allen Bildungsschichten – vom Akademiker bis zum Ungelernten. „Wenn man sich erst in dem negativen Kreislauf befindet, ist es sehr schwierig, wieder herauszukommen.“ Das bestätigt auch Simone Fricke. „Ich habe immer gedacht, mir kann so etwas nicht passieren und dannkommt doch alles anders.“ Ohne den sanften Druck ihres Bruders, der ihr auch den Tipp mit der Tafelgab, wäre sie wohl nicht dort hingefahren.
Die Mitarbeiter der Tafel stammen zu 95 Prozent aus Fördermaßnahmen – die wenigsten sind Rentner.42 Mitarbeiter gebe es derzeit, aber es müssten laut Michaela Hinse deutlich mehr sein. Gerade die Fahrer, die auch Packen und Kisten schleppen, müssten eine gewisse körperliche Fitness mitbringen. Aber auch für die Essensausgabe sucht die Koordinatorin stets nach Ehrenamtlichen.
Ein Grundstamm an Mitarbeitern sei wichtig, um den Ablauf zu sichern. Es sei schon vorgekommen,dass die Tafel nicht öffnen konnte, weil zu viele aus dem Tafel-Team krank waren. „Hinter dem funktionierenden Betrieb steckt eine große Maschinerie“, sagt Hinse, die seit über acht Jahren für die vier Tafeln in Schaumburg zuständig ist. Auf der einen Seite ist sie traurig, dass es die Tafel gebenmuss, auf der anderen Seite sei es gut, dass es sie gibt, um den Menschen zu helfen.
Auch Simone Fricke ist froh über die Einrichtung. Ihr größter Wunsch ist allerdings: „Endlich wieder Arbeit finden. Das wünscht sich jeder hier.“