Die Gesichter der Flucht
Rüdiger Reckstadt eröffnet Fotoschau in Minden – mit Bildern aus der Flüchtlingsunterkunft Bückeburg

Aus: Landeszeitung Online vom 28 Juli 2016
MINDEN/BÜCKEBURG. Um Fotos von Menschen aus anderen Kulturen zu machen, das Vertrauen der Fremden zu gewinnen, ihnen ihre Würde zu lassen und ihnen Respekt zu erweisen, bedarf es mehr als des technischen Geschicks eines Fotografen. Rüdiger Reckstadt hat dieses Fingerspitzengefühl bewiesen. Dank seiner Frau Kathrin entstand Anfang des Jahres eine Serie ausdrucksstarker Fotos von Flüchtlingsfamilien aus Syrien und Afghanistan. Derzeit reisen die großformatigen Bilder als kleine Wanderausstellung durch die Lande. Als dritte Station kommen die „Gesichter“ nach Minden.
„Ich wollte ihnen ihr Gesicht zurückgeben“, sagt der Stadthäger. Das ist leichter gesagt als getan. Denn in der muslimischen Kultur nimmt die bildliche Darstellung von Menschen einenganz anderen Stellenwert ein als in der abendländischen Tradition.
Eröffnet wird die Ausstellung „Gesichter“ am Freitag, 29. Juli, um 11 Uhr in der Bürgerhalle des Rathauses am Kleinen Domhof. Die Bürgerhalle schließt aus diesem Anlass nicht um12.30 Uhr, sondern ist bis 14 Uhr für den Publikumsverkehr geöffnet.
Die Flüchtlingsberatung der Caritas ist mit einem Infotisch vertreten und informiert über Flüchtlinge und ehrenamtliche Arbeit mit den Menschen.
Die „Gesichter“ sind bis zum 23. August zu den üblichen Öffnungszeiten – werktags von 8bis 16 Uhr, donnerstags bis 18 Uhr, freitags bis 12.30 Uhr – zu sehen.
Die Idee zu dem Projekt war dem pensionierten Oberstudienrat des Ratsgymnasiums Stadthagen („Dort war ich der Haus- und Hoffotograf“) durch die Leitung seiner Frau in einerzweiten Flüchtlings-Erstaufnahmeeinrichtung des Roten Kreuzes in Bückeburg gekommen.„Ich habe 22 Jahre beim DRK-Kreisverband Schaumburg eine Einrichtung für Menschen mitseelischer Behinderung geleitet“, berichtet Kathrin Reckstadt. Vorzeitig in Ruhestandgegangen, bot sie in Absprache mit ihrem Mann im vergangenen Oktober ihrem ehemaligen Arbeitgeber ihre Mithilfe an. „Ich dachte an zwölf bis 15 Stunden in der Woche.“ In Spitzenzeiten waren es tatsächlich so viel – aber am Tag!
Dadurch kam auch Ehemann Rüdiger Reckstadt in engen Kontakt zu Flüchtlingen. Als die Nachrichten in den Medien und die Bilder immer düsterer und hässlicher wurden, als im Vokabular von „Flüchtlingsmassen“ gesprochen wurde, wie sie sagt, und „keine Rede mehr von Menschen“ war, wie er ergänzt, da reifte in dem passionierten Fotografen („Ich fotografiere seit 50 Jahren“) die Idee, den Flüchtlingen ihr Gesicht zurückzugeben, wie er es nennt.
in Türöffner war – neben der Ehefrau und den eigenen häufigen Besuchen in der Einrichtung – eine Weihnachtsfeier im Haus der katholischen Gemeinde in Bückeburg. Dortmachte er Fotos, die er in der Unterkunft ausstellte. „Ein Aufwärmprojekt“, wie Rüdiger Reckstadt sagt.
Im Januar richtete der Fotograf in der Einrichtung ein Fotostudio ein. Es schlossen sich dreivierstündige Fotosessions an, angekündigt durch mehrsprachige Aushänge. Bei der erstenwaren nur Kinder und ihre Mütter dabei. Wegen der Sprachbarriere war keine direkte Kommunikation möglich, und dennoch gelang es dem Fotografen, die Menschen vor seiner Linse dazu zu bewegen, Ruhe in den Körper einkehren zu lassen und nicht ein typisches Fotografiergesicht aufzusetzen.
Den zweiten Termin legte der Fotograf so, dass niemand durch Sprachunterricht verhindert war. Prompt erschienen die Männer. „Einige hatten sich ein bisschen für den Fotografenzurechtgemacht“, schmunzelt Rüdiger Reckstadt. „Es war richtig was los, alle redeten, einigemachten Musik. Ich musste die Leute beruhigen für den Blick in die Kamera.“ Sogar eine Kung-Fu-Truppe schmiss sich in Pose.
Die dritte Session war kompletten Familien gewidmet. Der Fotograf wollte auchunterschiedliche Familienbande und Beziehungen untereinander zeigen.
Als die Ausstellung organisatorische Formen annahm, mussten Genehmigungen aller Abgebildeten eingeholt werden. Reckstadt hatte dazu Formulare mit dem jeweiligen Foto und Übersetzungen angefertigt und begab sich in die Einrichtung. Statt dass er zu jedem Einzelnen gehen und noch einmal viel erklären musste, nahmen Flüchtlinge ihm die Arbeit ab. „Nach einer halben Stunde war alles unterschrieben.“ Und dann kam der Mann, der gegen das Foto von seiner Frau protestiert hatte, und wollte wissen, warum ihr Foto nicht dabei war. „Ich hatte es rausgenommen“, sagt der Fotograf. „Dann habe ich es wieder reingenommen.“
Ende Februar wurde die Ausstellung in der Geschäftsstelle des DRK-Kreisverbandes Schaumburg in Obernkirchen eröffnet, der das Projekt als wichtigen Beitrag zur Verständigung genehmigt sowie ideell und materiell unterstützt hatte. „Wir haben einen Busgemietet, um die Flüchtlingsfamilien dorthin zu bringen“, sagt Reckstadt. „Stolz haben sie sich vor ,ihr‘ Bild gestellt und noch einmal davor fotografiert.“ Und manchmal musste Rüdiger Reckstadt sich auch unbedingt dazustellen.
Dass die Ausstellung den Sprung über die Landesgrenze schafft, ist dem kurzen Draht zwischen Bückeburg und Minden und zwischen Caritas-Geschäftsführerin Susanne Leimbach und Vorgänger Bernd Ellerhorst zu verdanken. Denn dieser ist in der katholischen Gemeindein Bückeburg ehrenamtlich engagiert, die die Flüchtlinge unterstützt.